Körper und Seele

Körper und Seele (Testről és lélekről)

Mo, 10. — Sa, 15.12.2018 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino

UNG 2017, Regie/Drehbuch: Ildikó Enyedi, K: Máté Herbai, S: Károly Szalai, M: Ádám Balázs, Darsteller: Alexandra Borbély, Géza Morcsányi, Réka Tenki,, Zoltán Schneider, 140 Minuten, OmdUT

Trailer:


Inhalt:


Maria, die neue Qualitätskontrolleurin am Schlachthof, wird von allen Seiten kritisch betrachtet: Sie bewegt sich seltsam steif, fast roboterhaft, hat einen starren Blick, ist einsilbig und unzugänglich und sie meidet jeden Kontakt mit ihren Kollegen. In der Kantine setzt sie sich allein an einen Tisch, obwohl Personalchef Jenő ihr zuwinkt. So eine werde nur Probleme machen, sagt er zu Endre, dem Leiter des Schlachthofs. Doch der ist sofort interessiert an dieser attraktiven, aber eigenartigen jungen Frau – ohne zu wissen warum. Sein Versuch, sie beim Small Talk in der Kantine kennenzulernen, scheitert: Zu schroff sind ihre Antworten, zu unbeholfen ist ihr Auftreten. Schon bald wagt er einen zweiten Anlauf, diesmal auf Bitten der Kollegen: Denn Maria ist bei der Arbeit extrem penibel. Sie stuft die Rinder schon als zweitklassig ein, wenn eine Fettschicht zwei Millimeter breiter ist als vorgeschrieben. Endre ist ein integrer Mann, aber so genau müsse man ja auch nicht alles nehmen, findet er. Doch auch hier dringt er nicht zu Maria durch.
Nach einem Diebstahl am Schlachthof befragt die Psychologin Klára mehrere Mitarbeiter und stellt dabei etwas Seltsames fest: Endre und Maria hatten in der Nacht zuvor denselben Traum. Darin streifen sie friedlich durch einen verschneiten Wald – als Hirsch und Hirschkuh, die zärtlich und in inniger Harmonie miteinander leben, frei und würdevoll, im Einklang mit der Natur. Endre versucht das als Zufall herunterzuspielen, doch er ist aufgewühlt – wie auch Maria.


Die Regisseurin:


Ildikó Enyedis erster Film „Mein 20.Jahrhundert“ gewann in Cannes die Camera d’Or, wurde von der New York Times zu einem der zehn besten Filme des Jahres 1989 gewählt und als einer der zwölf besten ungarischen Filme aller Zeiten ausgezeichnet.
Sie begann ihre Karriere als Konzept- und Medienkünstlerin, war Mitglied der Künstlergruppe Indigo sowie des Balázs Béla Studios, dem einzigen unabhängigen Filmstudio in Osteuropa vor 1989. Dann wandte sie sich Regie und Drehbuch zu. Ihr Spielfilm Tamas und Juli gewann 1997 den Großen Preis des Belfort Filmfestivals, Simon Mágus von 1999 erhielt in Locarno den Spezialpreis der Jury. Ildikó Enyedi hat für HBO Europe Terapia inszeniert, die ungarische Version von In Treatment. Sie unterrichtete in der Schweiz und Polen Meisterklassen und war Dozentin an der Universität für Theater- und Filmkunst Budapest. Außerdem arbeitete sie im Rahmen des „Artist in Residence“-Programms des DAAD in Berlin. Sie war Gründungsmitglied von EUCROMA (European Cross Media Academy). 2011 erwarb sie einen geisteswissenschaftlichen Doktortitel mit der Note „summa cum laude“ im Bereich Transmedia mit der Arbeit „CREATED WORLDS / The Relationship of Technique and Fantasy in Moving Images“. Sie ist Mitglied der Europäischen Filmakademie, erhielt den Béla-Balázs-Preis, den Merited Artist Prize sowie das Ungarische Verdienstkreuz. Ildikó Enyedi ist Mutter von zwei Kindern und lebt in Budapest sowie Nordrhein-Westfalen.

Filmographie (Auswahl)

2012-2016 TERÁPIA (Fernsehserie) 2008 ELSŐ SZERELEM (Kurzfilm) 2004 EUROPE (Omnibusfilm) 2000 GESCHICHTEN IN GESICHTERN (Dokumentarfilm) 1999 SIMON MÁGUS 1997 TAMÁS ÉS JULI 1995 DER FREISCHÜTZ (Büvös vadász) 1991 TÉLI HADJÁRAT 1989 MEIN 20. JAHRHUNDERT (Az én XX. századom)

Ildikó Enyedi über den Film:

Ich lese viele Gedichte, das ist mein Refugium, und der wahre Ausgangspunkt war ein Gedicht der ungarischen Dichterin Ágnes Nemes Nagy. Diese vier Zeilen dienten als Motto für das Drehbuch:

The heart, a sputtering flame to light,
the heart, in mighty clouds of snow,
and yet inside, while flakes sear in their flight,
like endless flames of a burning city glow.

Ich bin ein eher zurückgezogener Mensch, und deshalb weiß ich, was sich unter einer ruhigen, grauen Oberfläche verbergen kann. Wie viel Schmerz, Verlangen oder Leidenschaft – der Heroismus des Alltags. Wenn ich die Straße entlanggehe und in die Gesichter der Menschen sehe, weiß ich immer: Selbst hinter dem langweiligsten, einfältigsten, plumpsten Gesicht kann sich Erstaunliches verbergen.
Die zentrale Idee für die Storyline kam in einem einzigen Moment: Wie wäre es, jemandem zu begegnen, der nachts dasselbe träumt wie man selbst? Wie würde man reagieren? Wäre man begeistert? Würde man Angst bekommen? Oder es lustig finden? Oder ziemlich aufdringlich? Oder vielleicht – romantisch? Wenn man den Schock erstmal überwunden hat, was würde man mit den neuen Erkenntnissen anfangen? Würde man sein Herz dieser anderen Person öffnen? Aber was, wenn man überhaupt kein romantischer Mensch ist? Wenn man bei jedem Gedanken an esoterischen Mist erschaudert?
Der Schlachthof im Film ist kein archaisches, blutgetränktes Schlachthaus. Er ist ein ordentlicher, wohlorganisierter moderner Arbeitsplatz, an dem gewissenhaft alle Vorschriften eingehalten werden. Er ist der Spiegel unserer westlichen Gesellschaft.


Kritikerstimmen:


Es ist die große Qualität von Körper und Seele, dass der Film alles, was moralisierend daherkommen könnte, unser Verhältnis zu Tieren und zum Töten, aber auch die Bestechlichkeit der Beamten, nur anklingen lässt. Doch für das, was die Worte nicht sagen, wird der Zuschauer mit den unglaublichsten Bildern belohnt.
(NZZ, Christina Tilmann)

Vom Filmtitel Körper und Seele sollte man sich jedenfalls nicht in die esoterische Irre führen lassen. Enyedis Film ist eine behutsame Untersuchung des wohl schönsten aller Vorgänge: Zwei Seelen, die in zwei einander noch fremden Körpern wohnen, berühren sich.
(DIE ZEIT, Katja Nicodemus)