Loveless

Loveless (Nelyubow)

Mo, 16. — Sa, 21.03.2020 | 17:30 Uhr bzw. Sa 15:00 Uhr | City-Kino

RU 2017, Regie: Andrej Zvyagintsev, Drehbuch: A. Zvyagintsev, Oleg Negin, Musik: Jewgeni und Sacha Galparine, Kamera: Mikhail Kritschman, Schnitt: Anna Mass. Darsteller: Marjana Spiwak, Alexej Rozin, Matwej Nowikow, Marina Wassilewja, Andris Kelshs, Sergej Dwoinikow, Artjom Schigulin, Alexej Fatejew, 127 min, OmdUT

Trailer:


Inhalt:


Was ist, wenn selbst deine Familie dich nicht mehr liebt? ….Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, es ist die Nicht-Liebe. Das, was bleibt, wenn die Liebe zwischen Gleichgültigkeit und Verachtung zerrieben wird, wenn sie denn je war. Deshalb heißt der Film des russischen Regisseurs A. Zvyagintsev ‚Nelyubow‘ – ‚Un-Liebe‘.

(Alice Bota, Zeit online)

 

Der halbwüchsige Aljoscha wird wieder einmal, wie so oft, heimlich Ohrenzeuge der Streitereien seiner Eltern. Die Scheidung ist beschlossen, die Familie kaputt und zerbrochen, auch um die Zukunft des Jungen wird erbittert gestritten. Die Verzweiflung des Jungen ist grenzenlos, eines Morgens ist er verschwunden, ohne dass es zunächst jemand bemerkt. Danach allerdings startet eine verzweifelte Suche, organisiert von privaten freiwilligen Suchtrupps, da die Vertretung des Staates, die Polizei, völlig überfordert ist. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.


Der Regisseur:


Andrej Zvyagintsev wird am 6. Februar 1964 in Nowosibirsk geboren, er erfährt eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Theater in seiner Heimatstadt, danach erste Theaterrollen, im Jahr 1986 Übersiedlung nach Moskau, Vervollständigung seiner Ausbildung am Staatlichen Institut für Theaterkunst. Er arbeitet als Theaterschauspieler, tritt aber auch bereits in Fernseh- und Kinofilmen auf. Beim Fernsehsender REN TV kann er als Regisseur arbeiten. Nach ersten Serienarbeiten erhält bereits sein erster Lang-Spielfilm ‚The Return-Die Rückkehr‘ im Jahr 2003 den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Vendig. Das ist die Geburtsstunde eines neuen russischen Regie-Stars. Alle seine weiteren Filme finden große internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung, vor allem immer wieder beim Filmfestival in Cannes, später auch bei den Filmpreisen in den USA. Das gibt dem Regisseur auch Rückenwind und Unterstützung für die Bewältigung von so mancher scharfen Kritik aus der Heimat, da er sich nicht scheut, auch heiße politische Eisen – wie strukturelle Korruption und den übermächtigen Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche – in seinen Filmen zu thematisieren. So geschehen etwa in ‚Leviathan‘ aus dem Jahr 2014. Seine Prominenz schützt ihn – zumindest scheint es so – vor der berüchtigten staatlichen Zensur. Im Jahr 2018 wird Andrej Zvyagintsev in die Wettbewerbsjury des 71.Filmfestivals von Cannes berufen.


Hintergrund:


Andrej Zvyagintsev arbeitet seit seinem ersten Spielfilm immer mit demselben Kameramann zusammen, mit dem russischen Ausnahmekönner Michail Kritschman. Auch der Drehbuchautor Oleg Negin und die Cutterin Anna Mass gehören fast seit Beginn zum Team. Diese Konstanz und blinde Vertrautheit haben ganz wesentlich zu jener herausragenden und höchst beeindruckenden Bildsprache beigetragen, für die dieser Regisseur so geschätzt und gerühmt wird.
Die Idee für „Loveless“ kam mir bei „Szenen einer Ehe“, das sage ich ganz offen; ich habe diesen Film von Bergman immer gemocht. Mein Drehbuchautor Oleg Negin und ich überlegten, eine Familienkrise zu schildern, die nach zehn bis zwölf Jahren Ehe ausbricht, und wie die zwei Menschen nicht mehr zusammen sein können. Im Drehbuch gibt es einen Trigger, der alles in Gang setzt – ihr Kind verschwindet. (RUSSIA BEYOND, Interview mit dem Regisseur von Alexander Netschajew, 24. März 2017)

Ich versuche, nichts über mich zu lesen. Leider geht es nicht, mich komplett abzuschotten. Einmal war ich bei einer Fernsehshow, und da wurde mir vorgeworfen, ich sei kein russischer Regisseur und permanent gegen das Land, das mich sozusagen großgezogen hat. Das ist aber Quatsch. Damals antwortete ich, dass ich mich als Bürger eines Landes namens „Filmwesen“ fühle.
Ich akzeptiere keine nationalen Grenzen für die Filmindustrie. Genau deswegen interessiere ich mich nicht dafür, was im russischen, amerikanischen, französischen oder deutschen Filmwesen passiert. Mein Interesse gilt den Regisseuren, die gute Filme machen, egal welcher nationalen Filmschule sie angehören. Jeder gute Regisseur zeichnet sich durch Universalität aus, seine Filme werden in Russland, den USA oder irgendwo anders verstanden.
Die Tatsache, dass meine Filme im Westen populär sind, spricht dafür, dass ich Menschen verschiedener Nationalitäten ansprechen kann. Das ist, aus meiner Sicht, viel wichtiger, als sich selbst in irgendwelche nationale Rahmen zu drängen oder auf sein Russentum stolz zu sein.
(RUSSIA BEYOND, Interview mit dem Regisseur von Alexander Netschajew, 24. März 2017)


Kritikerstimmen:


Das Drama beginnt – oder endet es? Der Junge verschwindet, und niemand bemerkt es. Nicht die Nachbarn, nicht die Eltern, nicht einmal die Überwachungskameras zeichnen ihn auf. Erst der Klassenlehrerin fällt sein Verschwinden auf, als Aljoscha den zweiten Tag in der Schule fehlt. Der Staat wird herbeigerufen in Gestalt der Polizei und bleibt untätig, dafür springen freiwillige Suchtrupps ein, die effizient arbeiten und auch noch umsonst. Die Suche beginnt. Vater und Mutter, Mann und Frau werden wieder aneinandergekettet, bis dass der Tod sie scheidet.
(Alice Bota, 14.März 2018, ZEIT online)

Dieser Film tut weh. Die langen Einstellungen mit fließenden Bewegungen und langsamen Zooms sind kaum zu ertragen in ihrer ungeheuerlichen Unaufgeregtheit und Kühle. Alle Figuren sind beschädigt, jede auf ihre Art.
(Alice Bota, 14.März 2018, ZEIT online)

Und bei aller Parabelhaftigkeit findet Zvyagintsev eine sehr reizvolle Balance zwischen Realismus und Metaphorik. Gespenstische Suggestivkraft erlangen beispielsweise die Szenen, in denen die Helfer in einem weitläufigen Gebäudekomplex aus der Sowjetzeit nach Alyosha suchen. Die Konferenzsäle, Sporthallen und Heizungskeller, verlassen und aus der Zeit gefallen, so geheimnisvoll wie trostlos, könnten genauso in der verbotenen Zone von Tarkovskis »Stalker« liegen.
[…]
Zugleich wirken Zvyagintsevs Figuren lebensnah und glaubwürdig, auch in ihren Extremen. Etwa Zhenya: So kalt, selbstgerecht und oberflächenfixiert sie agiert, so traurig menschlich erscheint sie in einigen Szenen. Wenn die Suche nach dem Jungen sie zu ihrer eigenen Mutter führt, wird zudem verständlich, woher sie ihre Härte hat. In der Darstellung von Beziehungen – der kaputten Ehe von Zhenya und Boris wie auch ihrer neuen Liebschaften – erweist sich »Loveless« zudem als zutiefst melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit von Gefühlen. Ein Zeitsprung am Ende des Films zeigt: Auch diese neuen Lieben verlieren schrecklich schnell ihren Glanz.
(Patrick Seyboth, epd-Film, 22. Februar 2018)