Julie – Eine Frau gibt nicht auf
Frankreich 2022; Originaltitel: En plein temps, Full Time; Regie/Drehbuch: Eric Gravel; Kamera: Victor Seguin; Schnitt: Mathilde van de Moortel; Musik: Irene Dresel; Darsteller: Laure Calamy, Anne Suarez, Genevieve Mnich, Nolan Arizmendi, Cyril Gue; Länge: 88 Minuten, OmdUT
Trailer
Inhalt
Eine Woche im Leben der alleinerziehenden Mutter Julie. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in einem Vorort außerhalb von Paris, weil sie nicht will, dass diese in einem Wohnsilo aufwachsen müssen. Die Arbeit in einem gehobenen Hotel im Zentrum der französischen Hauptstadt ist da bereits Herausforderung genug. Der gerade stattfindende Streik der öffentlichen Verkehrsbetriebe stellt Julie nun aber vor nahezu unlösbare Probleme, sie kümmert sich, sie läuft, sie schuftet, sie hetzt, bis an den Rand der vollständigen Erschöpfung, um alle ihre Aufgaben unter einen Hut zu bringen.
Eric Gravel:
Eric Gravel ist ein Drehbuchautor und Regisseur aus Quebec, er wurde in Verdun in Canada geboren und schloss 1994 die Mel-Hoppenheim School of Cinema an der Concordia Universität in Montreal ab. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er in Frankreich. Er schrieb viele Drehbücher, drehte Kurzfilme, arbeitete für das Fernsehen. Sein erster Langfilm ‚Crash Test Aglae‘ erschien 2017. Der Film ‚Full Time‘ (Julie) erhielt 2021 beim Filmfest in Venedig zwei Auszeichnungen und im Jahr 2023 zwei Cesars.
Kritiken
Éric Gravel, sein Kameramann Victor Seguin, die Editorin Mathilde van de Moortel und die Filmmusik von Irène Drésel spalten Julies Hetzerei in eine treibende Bilderfolge auf, in der die nervenzerrende Situation einen immensen Spannungsfaktor erzeugt. Glaubhaft wird dieser permanente Energieausstoß durch die kongeniale Besetzung mit Laure Calamy, deren ohnehin hochenergetisches Spiel hier eine ideale Ausdrucksmöglichkeit findet. Sie vermag die emotionale Achterbahnfahrt ihrer Figur in allen Facetten sichtbar zu machen, denn Julie Roy befindet sich keineswegs auf einem geraden Kurs. Ihre Lage ist auch deshalb so schwierig, weil sie sich nicht in ihr Schicksal fügen will.
(Marius Nobach, Filmdienst)
Kommen Sie wegen des sozialen Realismus, bleiben Sie wegen der thrillerartigen Spannung, denn Julies Tage werden zu einer aufregenden Analyse der verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus. Lauf, Julie, lauf!
(EDINBURGH FILMFESTIVAL)
Der Regisseur über seinen Film:
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte des Films verraten? Wie bist du auf die Idee gekommen?
Mein erster Film war ein Roadmovie und ich wollte dieses Mal einen Film machen, der etwas lokaler ist. Es sollte ein Film sein, der von dem Ort handelt, wo ich lebe, eine etwas ländliche Gegend rund anderthalb Stunden von Paris entfernt. Dort leben sehr viele Menschen, die jeden Tag diese Strecke fahren. Für mich war das unvorstellbar. Als ich dorthin gezogen bin, war für mich klar, dass das zu weit ist. Mehr als ein bis zweimal pro Woche würde ich nicht nach Paris fahren. Und als ich doch einmal eine ganze Woche lang pendeln musste, war ich im Anschluss sehr erschöpft. Du bist ständig darauf angewiesen, dass alles klappt und nicht gerade etwas bei der Bahn kaputt ist oder irgendwo ein Streik ist. Also wollte ich von den Menschen erzählen, die jede Woche früh morgens den Zug nehmen und erst nachts nach Hause kommen und wie sich das Leben für sie anfühlt.
Und wie kam es von da zu der alleinerziehenden Mutter?
Ich habe nach jemandem gesucht, der zu kämpfen hat, der aber keine eigene Stimme hat. Jemand, der nicht einfach mal streiken kann, weil er sich auch allein um die eigenen Kinder kümmern muss. Und das sind nun einmal meistens Frauen, leider. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich insgesamt lieber die Geschichten von Frauen erzähle.
Was bei deinem Film hervorsticht, ist die Hektik. Julie rennt ständig umher, es gibt kaum Ruhemomente. Warum hast du die Geschichte auf diese Weise erzählt? Die meisten Sozialdramen sind eher ruhig.
Das stimmt. Aber ich finde nicht, dass ein Film, nur weil er über soziale Themen spricht, deswegen naturalistisch sein muss. Ich liebe das Kino. Ich liebe Filme. Und ich will die Werkzeuge, die der Film mir bietet, auch wirklich annehmen. Kamera, Musik, Schauspiel, das kann ich alles nutzen, um den Kampf aufzuzeigen. Mir ging es darum auszudrücken, wie sie ihr Leben wirklich wahrnimmt. Wir sehen deshalb nicht die langen Fahrten im Zug, wo nichts passiert, sondern die, wo sie zum Zug rennt.
Filmrezensionen.de, Oliver Armknecht, Interview mit Eric Gravel, März 2024
Filmografie (Auswahl):
- Crash Test Aglae (2017)
- En Plein Temps (Full Time, Julie, 2021)