Irdische Verse
Iran 2024; Regie/Drehbuch: Ali Asgari, Alireza Khatami; Kamera: Adib Sobhani; Schnitt: Ehsan Vaseghi; Musik: Masud Fayad Zadeh; Darsteller: Bahram Ark, Argayan Shabani, Servin Zabetian, Sadaf Asgari, Fazeeh Rad, Majid Salehi, Länge: 77 Minuten, OmdUT (Farsi)
Trailer
Inhalt
Neun Episoden, die allesamt in Innenräumen in der iranischen Hauptstadt Teheran spielen. Iranerinnen und Iraner geraten in die Fänge der unbarmherzigen autoritären Gewalt der Behörden, der Vorgesetzten, der religiösen Institutionen. Jene, die diese Gewalt ausüben, bleiben für die Kamera unsichtbar, man hört sie nur. Die statische Kamera bleibt in jeder einzelnen der neun Szenen bei und auf jenen Unterdrückten, die sich teilweise wagemutig, manchmal auch mit beißender Ironie zu wehren versuchen.
Ali Asgari und Alireza Katami:
Ali Asgari machte seinen Abschluss an der Tehran Azad Universität und begann ab 2009 ein Filmstudium an der Universität in Rom, arbeitete als Regieassistent und drehte eine Reihe von Kurzfilmen. Für diese schrieb er auch die Drehbücher. Mit diesen Filmen war er in Cannes und in Berlin erfolgreich. 2017 drehte er seinen ersten Spielfilm, dieser wurde in Venedig und Toronto präsentiert. In Venedig lernte er dann auch seinen iranischen Regisseur-Kompagnon Alireza Katami kennen. Dieser ist ein iranisch-kanadischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, der 2017 mit seinem Debutfilm „Oblivion Verses“ in Venedig für Furore sorgte.
Kritiken
„Genau diese Erfahrung (wie im Film gezeigt) habe ich mit der Zensurbehörde im Iran gemacht“, erzählt Alireza Khatami, einer der Regisseure von Irdische Verse. Seine Premiere feierte der Film 2023 in Cannes. Bei der Rückkehr in den Iran wurde der Reisepass von Ali Asgari, dem Co-Regisseur, eingezogen, um seine Teilnahme an weiteren Filmfestivals zu verhindern. „Für acht Monate haben die Behörden seinen Reisepass einbehalten, damit er nicht mehr ausreisen kann“, erzählt Khatami. Auch eine Inhaftierung wurde ihm angedroht. Das Vergehen? Diesen Film ohne Erlaubnis zu machen, ohne staatliche Finanzierung. „Wir wollen hier nicht die Opfer spielen. Wir sind sehr stolz auf unseren Film und tragen gerne die Konsequenzen dafür“, sagt Khatami. Jede Regierung habe eine rote Linie, die man nicht übertreten dürfe.
Diesen Alltagsprotest gegen ein repressives System stellt Irdische Verse auf wunderbar subtile Weise dar. Er zeigt, dass Menschen nach Freiheit und Privatsphäre streben – ein universelles Streben, das nicht nur in einem autoritären Staat wie dem Iran gilt. „Wir sehen uns selbst in diesen Situationen – und ich will nicht dort sein“, sagt Khatami. Er ist sich sicher, überall in der Welt wird man es schwerhaben, wenn man die rote Linie übertritt. Eine letzte Frage hat der Regisseur dann selbst: „Wie könnte der Film in Österreich aussehen?“
(Jakob Thaller, Der Standard, 10.5.2024)
Der formal minimalistische Rahmen macht es den Schauspielern unmöglich, der Kamera zu entkommen. Ihre Reaktionen schwanken zwischen Verwunderung, schwindender Hoffnung, Ekel und Resignation. Jedes Aufflackern des Gesichtsausdrucks, jede subtile Veränderung in der Körpersprache wird zu einer Geste des Widerstands von Machtlosen gegen institutionelle Entgleisungen. Der Wahnsinn, den die kleinen Amtstyrannen verbreiten, drängt sich ins Privateste hinein, in Bereiche, die nicht nur die iranische Diktatur zu kontrollieren versucht.
(Alexandra Wach, FILMDIENST)
Die Regisseure über ihren Film:
Wie haben Sie beide sich kennengelernt und beschlossen, für IRDISCHE VERSE zusammenzuarbeiten? Woher kam die Idee für das Projekt?
(AR) Ich scherze immer, dass wir uns auf Tinder kennengelernt haben, aber die Wahrheit ist nicht weit davon entfernt. Unser erster Spielfilm wurde 2017 bei den Filmfestspielen in Venedig ausgewählt. Ich habe ihm auf Facebook gratuliert, da ich ihn von seinen gefeierten Kurzfilmen her kannte.
(A) Wir haben uns bei unserem ersten Gespräch in Venedig sofort gut verstanden. Ich glaube, das liegt daran, dass wir sehr ähnliche Hintergründe haben. Ich gehöre der Tat-Minderheit an, und Alireza gehört zum indigenen Stamm der Khamse. Wir sind beide in großen Familien aufgewachsen. Ich habe sechs Schwestern, Alireza hat vier. Für keinen von uns war das Kino ein wahrscheinlicher Weg. Dieser Hintergrund brachte uns einander sehr nahe, obwohl wir sehr unterschiedliche Filmsprachen haben.
(AR) Wir trafen uns in jenem Jahr auf dem TIFF (Toronto International Film Festival) wieder, und dann telefonierten wir zwei- oder dreimal pro Woche über verschiedene Themen. Plötzlich stellten wir fest, dass wir quasi bereits an einem gemeinsamen Drehbuch arbeiteten, bei dem Ali dann später Regie führte und das auf der Berlinale uraufgeführt wurde.
(A) Letzten Sommer arbeitete Alireza an seinem Spielfilm THINGS THAT YOU KILL und hatte Schwierigkeiten, eine Drehgenehmigung zu bekommen.
(AR) Und dann ist mein Film nicht zustande gekommen und ich war untröstlich. Das Gespräch im Ministerium für Kultur war absurd und tragikomisch. Ali erzählte auch ein paar Geschichten, wie andere Gespräche mit verschiedenen Institutionen für ihn fast surreal waren. Eine Woche später hatten
wir ein Drehbuch.
(A) Aber wir hatten kein Budget, keinen Produzenten, nichts. Nur ein Drehbuch!
War es schwierig, alle erforderlichen Genehmigungen für Ihr Projekt zu erhalten? Wo haben Sie gedreht?
(A) Alireza und ich sind beide in den 40ern. Wir haben genug Zeit mit Warten verbracht, wie die beiden Figuren in „Warten auf Godot“. Warten auf den Produzenten, warten auf die Besetzung, warten auf das Budget.
(AR) Dieses Mal wollten wir nicht warten. Also riefen wir ein paar Freunde an, legten unser eigenes Geld zusammen und drehten den Film in 7 Tagen.
Filmografie (Auswahl):
- Tonight is not a good night for Dying (Kurzfilm, 2007)
- More than two hours, Il Silencio (Kurzfilme, 2013)
- In the Same Garden (eine Episode in dem Episodenfilm, 2013)
- Disappearance (2017, in Venedig und Toronto)
- Oblivion Verses (3 Auszeichnungen in Venedig 2017)
- Ta Farda (2022, Premiere bei Berlinale)